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09 Jan, 2024

Post aus Schweden – Ein Brief von Raro

Post aus Schweden – Ein Brief von Raro
Wie sich mein Leben änderte und ich endlich die Liebe fand

Liebe Menschen,
mein Name ist Raro und ich würde euch gerne meine Geschichte erzählen.
Heute bin ich ein glücklicher Hund und werde geliebt – doch das war nicht immer so.
Dank sehr tierlieber Menschen aus Italien darf ich nun ein Leben im fernen Schweden führen, von dem ich zwar träumte, aber nie wagte, darauf zu hoffen.

Ich wuchs als behüteter Welpe mit meinen Geschwistern bei unserer Mutter in Italien auf. Alles lief nach Plan und eine Familie mit Kindern hier in Kampanien nahm mich auf.
Mit den Sprösslingen konnte ich im Hof herumtollen und wir hatten eine Menge Spaß zusammen.
Obwohl es immer etwas zu fressen gab und ich nicht geschlagen wurde, merkte ich aber schon bald, dass sich das Blatt allmählich wendete.

Die Erwachsenen in der Familie haben mich in all der Zeit eigentlich nie wirklich beachtet oder einmal liebevoll gestreichelt.
Da ich aber die Kinder hatte, auf die ich mich immer sehr gefreut habe, machte es mir nicht viel aus, dass niemand mit mir spazieren gehen wollte. Nach einigen Monaten, als ich dann größer geworden war, interessierten sich auch die Kinder immer weniger für mich. Sie wollten nicht mehr mit mir spielen und ich begann, mich einsam zu fühlen.

Und dann kam dieser schreckliche Tag:
Eines Morgens holte mein Herrchen sein Auto und ließ mich einsteigen. Wir machten einen Ausflug!
Zum ersten Mal verließ ich jetzt unseren Hof und konnte meine Freude kaum zügeln, draußen endlich über Wiesen rennen zu können.
Doch es kam ganz anders und unsere Spritzfahrt entpuppte sich rasch als böse Überraschung, denn an diesem Tag brach die schlimmste Zeit meines Lebens an:

Wir fuhren in eine verlassene Gegend und er sperrte mich in einen kleinen Zwinger, der voller Müll war. Zum Schlafen warf er mir ein altes Holzbrett hin, aus dem viele Splitter ragten und als Schutz vor Regen und Sonne konnte ich mich unter einem alten, zurückgelassenen Holzboot verstecken.
Ja, und dann ging es weg, mein Herrchen und ließ mich zurück.

Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie schrecklich und verzweifelt ich mich fühlte.
Mir fehlten die Kinder so sehr und ich vermisste unsere gemeinsamen Spiele.
Sicher würden sie am Nachmittag nach der Schule zu mir kommen!
Ich wartete. Ich wartete bis zum Abend, bis zum Wochenende. Aber sie kamen nicht, um mich aus diesem Loch zu befreien. Warum? Ist ihnen etwas passiert?
Starke Vorwürfe quälten mich, dass ich nicht gut aufgepasst hatte.
Tag um Tag verging und aus Wochen wurden Monate.

Der Mann, den ich mal als mein Herrchen bezeichnet habe, kam nur noch ein oder zwei Mal in der Woche vorbei, um mir etwas Futter hinzuwerfen, meistens altes Brot. Wasser gab es nur, wenn Regen gefallen war.
Aus Verzweiflung wurde Resignation. Welche Wahl hatte ich, außer mich meinem Schicksal zu ergeben? Meine einzige Gesellschaft bestand aus Mäusen und Ratten, die nachts um mich herumliefen und die letzten Krümel aus meiner Futterschüssel klauten.

Nach einigen Monaten brachte der Mann dann einen zweiten Hund in meinen Zwinger. So waren wir gemeinsam einsam. Das Schicksal der kleinen Hündin war ganz ähnlich – verstoßen von ihrer Familie sollte sie ihr Leben nun in diesem Gefängnis verbringen. Ständig stellten wir uns die Frage, warum keiner unser Bellen um Hilfe hört. Wahrscheinlich wollten die Menschen es nicht hören. Unser Vertrauen in die Menschheit hatten wir eigentlich verloren und nie gedacht, dass wir einen Schutzengel haben könnten, der das Wort für uns ergreifen und um Hilfe rufen würde.

Doch dieser Notruf kam und ging bei Stefania ein, einer Tierschützerin.
Ihr wurde berichtet, dass sich zwei Hunde in einem schrecklichen Zwinger in einer ländlichen Region von Caserta befinden.
Hinter Gittern zwischen Sperrmüll seien sie sich selbst überlassen.

Das Team von Stefania und ihrem Verein Cuore di Cane zögerte nicht und machte sich direkt auf den Weg.
Als sie dort ankamen, zeichnete sich ein erbärmliches Bild ab:
Die Hündin und ich waren in einem kleinen Verschlag voller Müll, Exkrementen und Unrat eingepfercht. Unsere Futternäpfe waren leer und die Wasserschüsseln trocken. Die fremden Menschen schlugen die Hände über ihren Köpfen zusammen und spekulierten, wie lange wir wohl schon ohne Wasser und Nahrung hier auf uns allein gestellt waren.
Erschöpft wedelten wir freundlich mit unseren Ruten und ließen uns auch sofort streicheln – wir hofften so sehr, dass wir nun endlich aus diesem Loch befreit werden würden.

Und dann passierte wirklich ein Wunder!
Denn Stefania zögerte keine Sekunde, durchschnitt die Drähte und holte meine Freundin und mich aus dieser Hölle!

Im Auto fuhren wir zum Refugium, wurden sofort gewaschen und gebürstet. Der ganze Dreck gehörte der Vergangenheit an. Voller Vertrauen ließ ich bereitwillig alles über mich ergehen. Endlich gab es wieder etwas zu fressen und ich konnte mich in kuschelige Decken in einem Körbchen legen. In meinem Kopf kreisten die Gedanken, ob das Wirklichkeit war. Meine Augen wurden schwer aber ich hatte Angst einzuschlafen – wenn alles nur ein Traum war, würde ich wieder an diesem grausamen Ort wachwerden.

Am nächsten Tag bekam ich meinen Namen – RARO – dessen Bedeutung so viel wie „selten“ ist. Diesen Namen trage ich nun stolz, da Stefania erkannte, dass meine schier unfassbare Gutmütigkeit und Offenheit den Menschen gegenüber nur selten in so beeindruckender Weise anzutreffen ist.

Auf ihre zwei Kinder ging ich sofort schwanzwedelnd zu, denn sie spürten, dass ich ein herzensguter Hund bin, und forderten mich zum Spielen auf. Die kleine Familie schloss mich in ihr Herz und hoffte zusammen mit mir, dass ich nun ein Zuhause voller Liebe finden würde.

Es vergingen einige Wochen und ich genoss die Zeit bei Stefania sehr.
An einem Samstag im Juli kam dann eine Frau aus Deutschland zu Besuch. Ihr Name war Petra und als ich merkte, dass sie Fotos machte, zeigte ich mich von meiner Schokoladenseite. Heute weiß ich auch, warum sie das getan hat.

Es müssen zwei Monate vergangen sein, als Stefania wieder ganz aufgeregt war und dieses Mal kam sie direkt auf mich zu. Ich hatte mittlerweile gelernt, was dieser Ausdruck in ihren Augen bedeutet – es wird Zeit, voneinander Abschied zu nehmen! Was würde nun passieren ?

Einige Wochen später an einem verschlafenen Ort nahe der finnischen Grenze

Ich übergebe nun mal das Wort an mein neues Frauchen :
Raros Adoption und wie es dazu kam, ist für meine Familie und mich hier in Schweden eine sehr emotionale und wundersame Geschichte. Unser Rudel besteht aus meinem Mann Klaas, zehn Katzen, nun wieder vier Hunden und mir, Stefanie. Es setzt sich überwiegend aus geretteten Tierkindern aus vielen Teilen der Welt zusammen.

Ganz besonders zu Herzen ging die Adoption jedoch mir, da ich im Juni diesen Jahres meinen über alles geliebten Rüden Sunny über die Regenbogenbrücke gehen lassen musste. Fast 15 Jahre war er mir ein treuer Begleiter. In all dieser Zeit waren wir nur wenige Tage voneinander getrennt und haben alles miteinander geteilt. Der Tag des Abschieds war der schwerste in meinem Leben und auch jetzt schmerzt sein Verlust noch sehr – mit Sunny ist auch ein großer Teil von mir gegangen.

Sunny und mir gab ich an diesem schwarzen Tag ein Versprechen: Nach ihm würde ich keinen Rüden mehr adoptieren. Umso weniger hätte ich je geglaubt, nur ein paar Monate später einen wunderschönen, italienischen Herdenschutzhund namens Raro in unserem Rudel willkommen zu heißen. Vermittelt wurde er durch das tolle Team vom Tierschutzprojekt Italien und Dank des unerschrockenen Einsatzes seiner Tierheim-Mama Stefania, die ihn aus schrecklicher Haltung gerettet hatte.

Es kommt immer anders, als man denkt, und ich fest davon überzeugt, dass mein Engel Sunny uns Raro gesandt hat.

Nun möchte ich euch auch erzählen, wie es dazu kam:
Wie erwähnt, wollte ich nach Sunny keinen Rüden mehr adoptieren. Der Tod unseres Leithundes hat ein unglaublich großes Loch in unsere Herzen gerissen. Sunny hinterlässt eine klaffende Lücke in unserem Leben und dem unserer Tiere. Nach Sunnys Tod gab sich unsere 13 Jahre alte Rescue-Hündin Shady aus Rumänien komplett auf. Sie ist zu 95% blind, verweigerte nun nahezu alle Nahrung und war nicht mehr zu einem Spaziergang draußen zu motivieren. Meine größte Sorge war, dass auch sie sich schon sehr bald auf ihre letzte Reise machen würde. Auch unsere jüngste Tierschutz-Hündin Lupa aus Italien konnte keine Motivation mehr für einen Ausflug aufbringen. Beide Hündinnen lagen den ganzen Tag depressiv im Haus.

Unser ganzer Zusammenhalt im Tiergefüge war weggefallen und auch den Katzen konnte man ihr Leid ansehen. So fasste ich mir schließlich ein Herz und habe mich mit der lieben Leni vom Tierschutzprojekt Italien über die Situation unterhalten. Sie war bereits in der Vergangenheit unsere Ansprechpartnerin in Italien, die uns so viel geholfen hat, und wir waren uns rasch einig, dass ein neuer Rüde in dieser Konstellation die beste Lösung für uns sein könnte.

Ab diesem Zeitpunkt begann die Magie zu wirken:
Ich bat Leni, mir bitte einen Rüden vorzuschlagen, der zu uns passen könnte. Sofort schlug sie mir Raro vor. An meinem ganzen Körper bekam ich Gänsehaut – denn Raro war genau DER Hund, den ich einige Tage zuvor schon auf dem Facebook-Profil des Tierschutzvereins entdeckt habe. An seiner Geschichte bin ich sehr lange hängengeblieben. Auch meinem Mann Klaas habe ich die Bilder und die Beschreibung gezeigt. Beim Lesen habe ich sofort etwas verspürt, doch diese Gefühle verwarf ich direkt wieder, da wir wie bereits erwähnt keinen Rüden mehr adoptieren wollten.
War es eine unglaubliche Fügung, dass mir Leni genau DIESEN lieben, großen Jungen namens Raro vorgeschlagen hat?

Die Sache war so seltsam und zeitgleich für mich eindeutig. Ich glaube nicht an Zufälle und denke, dass die richtigen Dinge im Leben auf uns zukommen. So hörte ich auf mein Bauchgefühl und entschied mich sofort für Raro. Klaas war natürlich auch direkt einverstanden.

Wir wohnen nun schon den dritten Winter in Schweden und haben auch vor, hierzubleiben. Ein Herdenschutzhund wie Raro ist geradezu wie gemacht für uns und unser freies, wildes und verrücktes Leben!

Gesagt, getan!
Im weiteren Verlauf habe ich mich sehr lange und oft mit der lieben Petra vom Vermittlungsteam ausgetauscht, um alles über Raro zu erfahren und den genauen Ablauf der Adoption und der Abholung abzusprechen.

Der 16. September 2023 kam in großen Schritten näher und wir haben als Treffpunkt zur Übergabe Flensburg in Deutschland ausgemacht. Raro hatte Glück und konnte eine Mitfahrgelegenheit ab Köln bei anderen lieben Adoptanten ergattern. Zusammen mit unserer Hündin Shady machten wir uns auf den langen Weg vom hohen Norden in Schweden nach Flensburg. Ein Roadmovie wie im Kino! Und die Spannung stieg mit jedem Kilometer.

Raro wurde uns um ca. 1:30 Uhr nachts vom 16. auf den 17. September von Sabrina und Olaf übergeben. Wir nahmen uns viel Zeit für Raro und haben uns alle erstmal eine gute halbe Stunde beschnuppert, sind ein Stück gelaufen und haben Hunger und Durst gestillt.
An dieser Stelle begann die wahre Liebesgeschichte: Der süße große, weiße Junge wollte nicht in unser Auto!
Eigentlich verständlich – Raro war ja schon knapp 30 Stunden unterwegs.
Wer könnte ihm das übelnehmen?
Mit vereinten Kräften haben wir unseren Goldschatz ins Auto gehoben und uns gemeinsam eine wohlverdiente Mütze Schlaf gegönnt.

Früh am nächsten Morgen ging es dann zurück nach Schweden. Auf der Strecke haben wir auf unseren Zwischenstopps die ersten, friedlichen Spaziergänge zusammen mit Shady gemeistert.

 

Endlich zuhause angekommen war es Zeit für die Vorstellung unseres Rudels. Raro wurde mit einem stattlichen Bell-Konzert unserer zwei italienischen Hundemädels im Garten begrüßt. Fozzie und Lupa akzeptierten Signor Raro aber sofort und er fügte sich, zu unserer großen Freude, nahtlos in unsere Familie ein. Bei der Erinnerung an die erste Begegnung wird mir immer wieder warm ums Herz: Raro war so liebevoll, zutraulich und verschmust, als wäre er in seinem Leben nie woanders gewesen. Jeden Tag weine ich vor Rührung über Raros unendliche Dankbarkeit und noch immer können wir einfach nicht fassen, welch großes Glück uns widerfahren ist.

Raro war sofort stubenrein und hörte, wenn man ihn zu sich rief. Deshalb konnte er schon nach kurzer Zeit mit uns frei und unbeschwert in der wilden und weiten Natur Schwedens, fernab von Menschen, laufen. Es gibt kaum eine Seele, die dieses Leben und die Freiheit so sehr genießt, wie es Raro tut, und er verdient es so – von Herzen!

Der weiße Italiener hat unserem Leben wieder einen Sinn gegeben und so viel Licht und Liebe in unsere Welt gebracht. Alle unsere Fellkinder mögen und respektieren ihn. Besonders aber hat es sich bei unserer lieben, alten Shady bemerkbar gemacht: Sie ist wieder ganz die Alte und hat die Freude am Leben zurückerlangt. Sie frisst gut und rennt draußen hinter Raro her. Shady lässt sich von ihm liebevoll leiten und die kleinen Hundemädels Fozzie und Lupa fordern ihn zum Spielen auf. Das ein oder andere Katzenkind streicht ihm zärtlich um die Beine oder begleitet ihn auf seinen Spaziergängen runter zum Fluss.

Dank Raro ist Shady am Leben geblieben und hat wieder Halt gefunden. Wir konnten die Trauer hinter uns lassen und sind um eine glückliche, unglaublich liebe Seele reicher geworden.
Sunny lächelt vom Regenbogen aus herab, kommt uns oft besuchen und freut sich über sein Geschenk an seine Mama: Raro!

Wir danken dem unglaublich tollen Team vom Tierschutzprojekt Italien für die kompetente und herzliche Vermittlung. Unser besonderer Dank von Herzen geht auch an Stefania, Raros Retterin, die all ihre Liebe und Fürsorge an ihre Hunde gibt.
Danke für dieses Wunder!